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Das staatliche Bauhaus

von Sabrina Kreiner

Das staatliche Bauhaus wurde im Jahre 1919 vom Architekten Walter Gropius in Weimar gegründet. Von 1925 an war die Kunstschule in Dessau und 1932 für ein Jahr in Berlin beheimatet.

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Es ist ein sonniger Tag und Erwin verbringt seine Mittagspause auf einer Parkbank in der Nähe eines Teiches. Die Sonne spiegelt sich im Wasser und der Tischlermeister ist in Gedanken vertieft, er schwelgt in Erinnerungen – Erinnerungen an den Beginn seiner Karriere. Erwin war 1926 Schüler des staatlichen Bauhauses in Dessau.

Die Ausbildung umfasste drei Abschnitte, den Vorkurs, die Form- und Werklehre und die Baulehre. Der junge Student besuchte wie seine Mitschüler zuerst den Vorkurs, eine Art Probesemester, in dem ein Grundverständnis für Gestaltung sowie eine Basis für den weiteren Ausbildungsabschnitt gelegt wurden. Im Mittelpunkt stand die persönliche Eignung und Begabung, sowie die Entwicklung der Individualität und Kreativität jedes Schülers. Erwins Begabung lag im Umgang mit Holz. Nach erfolgreichem Abschluss des Vorkurses hatten die Studenten die Möglichkeit, sich für die Arbeit in einer der Bauhaus-Werkstätten zu entscheiden. Es gab Werkstätten für Farbe, Glas, Holz, Keramik, Metall, Textil, Stein und Wandmalerei. Die praktische Arbeit in den Werkstätten waren die Herzstücke der Ausbildung.

Für Erwin war schon früh klar, dass Begabung und Interesse ihn für die Arbeit mit Holz prädestinierten, er blühte in der Arbeit mit Holz regelrecht auf. Der Grundsatz des Bauhauses schrieb vor, dass jeder Lehrling bei zwei Meistern gleichzeitig lernt, bei einem Meister des Handwerks (Werklehre) und einem der Formlehre, wobei die Werklehre die wichtigere der beiden war. Hier wurde Erwin im Umgang mit dem Werkzeug geschult. Er erinnert sich, dass er anfangs nur mit einfachsten Werkzeuge hatte arbeiten dürfen. Er fand das unbefriedigend, weil er doch voller Elan und Eifer einsteigen wollte. Aber er musste bald zugeben, dass ihm dies geholfen hat, Feingefühl und Geschicklichkeit der eigenen Hände zu schulen. Somit erreichte er allmählich Kenntnis und Verständnis für komplizierte Aufgaben. Neben der handwerklichen Ausbildung war auch die geistige wichtig. Hier erhielt Erwin das Grundgerüst, seinen Entwürfen Form und Gestalt zu geben.

Nach drei Jahren bekam Erwin seinen Gesellenbrief der Handwerkskammer, womit er nun seinen ganzen Stolz in den Händen hielt. Anschließend trat er die letzte Phase seiner Ausbildung an. Die sogenannte Baulehre war mit von praktischer Arbeit auf Baustellen geprägt. Erwin hält einen Moment inne und schmunzelt, denn ihm fällt ein Zitat von Walter Gropius ein. Der Bauhaus-Gründer und Direktor der Schule sagte immer: „Das Endziel aller bildnerischen Tätigkeit ist der Bau.“ Die Baulehre war das eigentliche Ziel der Bauhauslehre. Und nur den begabtesten Studenten wurde diese letzte Ausbildungsphase gewährt. Erwin erinnert sich, dass er sich damals fast wie ein König fühlte, dass er einer der Gesellen war, der als fähig und begabt anerkannt wurde. Die Dauer dieses Abschnitts wurde je nach Leistung und Bauumständen gemessen. Hier konnte der Geselle Erwin sein ganzes Wissen anwenden, alles, was ihm in der Form- und Werklehre beigebracht worden war. Nach langer Ausbildung war es dann im Jahre 1931 soweit, Erwin bekam seinen Meisterbrief von der Handwerkskammer ausgehändigt, nun war er Meister.

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Es gab aber auch nicht so schöne Momente. Nachdem Erwin seinen Meisterbrief erhalten hatte, vergingen nur ein paar Wochen und es fanden in Dessau, in seiner Heimatstadt, Gemeinderatswahlen an. Dort wurde die NSDAP zur stärksten Partei gewählt. Sie strich dem Bauhaus alle Zuschüsse. Die Kunstschule wurde 1932 aus Sachsen-Anhalt vertrieben. Ein neuer Sitz wurde zwar in Berlin gefunden, aber Anfeindungen gab es auch dort. Im Jahre 1933 schloss das staatliche Bauhaus endgültig seine Türen. Erwin hat davon aus der Zeitung erfahren und war zutiefst betroffen. Er erinnert sich, dass viele Menschen gegen das Bauhaus waren, und das schon seit dessen Eröffnung. Aber dass die Anfeindungen am Ende zur Schließung führen würden, das konnte er einfach nicht nachvollziehen. Erwin blickt auf den Teich und erinnert sich, dass selbst seine eigene Familie gegen seine Ausbildung war. Er blickt fast trotzig und ist auch ein wenig stolz darauf, dass er sich gegen den Willen seiner Eltern am Bauhaus beworben hatte. Diesen Schritt hat er bis heute nicht bereut.

Es gab nicht nur das Bauhaus als Schule, sondern auch den sogenannten Bauhausstil. Dieser gehört zu den bedeutendsten Kunstrichtungen des 20. Jahrhunderts. Die Entwürfe, die Erwin und seine Mitstudenten in den Werkstätten skizziert hatten, wurden zu wirklichen, anfassbaren Produkten. Erwin erinnert sich weiter, dass Walter Gropius großen Wert darauf gelegt hatte, dass Einfachheit und Individualität im Vordergrund standen. Die Möbel, die in den Werkstätten und später in Massenproduktion hergestellt worden waren, aber auch die ganzen Häuser im Bauhausstil hatten klare Merkmale: gerade Linien, klare Formen, wenig Farbe und absoluter Verzicht auf Schnörkel. Das wichtigste Merkmal war, dass sich die Form vollständig der Funktionalität unterordnete. Daher auch der Slogan „Form follows Funktion“. Für die Künstler ging es in dieser Zeit um Einzigartigkeit und zeitloses Design. Es war ihnen wichtig, Volksbedarf statt Luxusbedarf zu schaffen. Erwin lächelt und weiß, dass dieser Stil für die 20er Jahre sehr modern war, fast avantgardistisch. Diese Moderne war etwas völlig Neues und die Menschen taten sich schwer, diesen Stil zu akzeptieren. Für Erwin fühlt es sich gut an, Wegbereiter für etwas Neues gewesen zu sein, für eine Stilrichtung, die sogar heute noch von Bedeutung ist.

Erwin wird durch Kindergeschrei im Park aus seiner Erinnerung gerissen. Er schaut verdutzt auf die Uhr und registriert, dass seine Mittagspause längst vorbei ist. Der Tischlermeister packt seine Sachen und geht zurück in seine Werkstatt, wo sich seine Lehrlinge bestimmt schon wundern, wo denn ihr Chef geblieben ist. Er will ihnen von dieser Zeitreise erzählen. Denn vielleicht wissen einige von ihnen nicht einmal, was das Bauhaus überhaupt war. Oder war es nur ein Traum, ein Mythos?