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Dr. Mabuse

Von Fabian Grassl

– der Große Spieler, ein Bild der Zeit

Wir befinden uns in den Zwanziger Jahren, einer Gesellschaft im Schockzustand. Das bis dahin größte Morden der Geschichte im Nacken und eine neue, sich rasant industrialisierende und kapitalisierende Welt vor der Nase.

Den Menschen geht es größtenteils schlecht, es herrschen Hunger und Arbeitslosigkeit. Die soziale Lage ist angespannt. Viele haben im Krieg und den darauf folgenden Wirren Familien und Halt verloren, durch die fortschreitende Urbanisierung droht soziale Verwahrlosung. In dieses Szenario hinein kracht das neue Zeitalter wie ein Panzergeschoss, ohne Rücksicht auf Verluste, ausgestattet mit der Kraft, alles zu durchdringen, was sich ihm in den Weg stellt. In einer ungeheuren Geschwindigkeit und wie durch Detonationen breiten sich Aktienhandel und Industrialisierung à la Henry Ford aus, ebenso ein vollkommen neues, von Nachtlokalen und Glücksspiel beseeltes Amüsement. Auf diesen Kulturschock haben die Menschen keine Antwort. Weder woher all das Leid, die Verrohung, Vereinsamung, schlicht das Elend, stammten noch wie es wirklich zu dieser neuen Zeit gekommen ist oder wie man sich gar in ihr zurechtfinden sollte.

1922 zeigen die Lichtspielhäuser deutschlandweit: Dr. Mabuse, der Große Spieler. Ein über all diesen Zeitphänomenen erhabener Charakter. Sein Ziel, nicht gerade bescheiden – aber wunderschön die ‚böse Seite’ des Zeitgeistes reflektierend –: die Weltherrschaft. Da hierzu vor allem Geld vonnöten ist, nutzt er seine Schergen, seine übermenschlich anmutenden Kräfte der Wandlungsfähigkeit und seine Kunst der Hypnose, um es zu beschaffen. Er stellt Falschgeld her, manipuliert im großen Stil die Börse und knöpft Großunternehmern und Adeligen horrende Summen beim Glücksspiel ab. Sein einzig wahrer und ihm annähernd gewachsener Gegenspieler Staatsanwalt von Wenk. Doch niemand kann Mabuse stoppen, sein Blick ist Befehl, nichts steht ihm im Wege, die Menschheit weiter rücksichtlos für seine Zwecke zu missbrauchen.

Fritz Lang  (1890-1976) war ein vom Expressionismus geprägter Regisseur, der außer Dr. Mabuse beispielsweise Die Nibelungen(1924), sowie Metropolis(1927) und M- Eine Stadt sucht einen Mörder(1931), schuf. Selbst zu der im Film spielenden Zeit in Deutschland lebend, bezeichnete er sein Werk im Nachhinein sogar als eine Art Dokumentarfilm. Was angesichts der unterschwelligen Ängste und Konflikte einer aus den Fugen geratenen Gesellschaft durchaus berechtigt scheint. 

Die Kinobesucher sind von Langs Stummfilm begeistert. Kinokarten sind bezahlbar, der Film ist überall Gesprächsthema, so dass die Vorstellungen lange ausverkauft sind. Der Kritiker und Schriftsteller Kurt Pinthus schreibt nach der Uraufführung am 26. Mai 1922:

Dieser Film wird überall einen riesen Erfolg haben, nicht weil er wie die biografischen und geschichtlichen Filme die historische Neugier und das Interesse an Massenszenen befriedigt, auch nicht wegen der kriminalistisch-kolportagehaften Handlung, […] sondern weil viele Millionen Menschen, die dunkel das Tohuwabohu unserer Zeit fühlen, hier den Zusammenbruchwahnsinn, in dem zu leben wir alle gezwungen sind, sichtbar, greifbar und doch bildmäßig und rhythmisch geformt, erblicken.

Eine weitere interessante Ebene ist die Doppelgänger-Rolle Mabuses als Nietzsches Übermensch. Mit dem Zwischentitel  „Es gibt keine Liebe – Es gibt nur Begehren! – Es gibt kein Glück, – es gibt nur Willen zur Macht!“ legt Mabuse so etwas wie ein Bekenntnis zu jenem Ideal ab. Ich möchte im Anbetracht des geschichtlichen Kontextes der 20er Jahre vor allem auf den Aspekt des Antistaates, den Dr. Mabuse hier verkörpern soll, eingehen.

In „Vom neuen Götzen“(Kapitel aus:  ‚Also sprach Zarathustra’) demaskiert Nietzsche den Staat als neuen Abgott:

„ Ja, auch euch errät er, ihr Besieger des alten Gottes! Müde wurdet ihr im Kampfe, und nun dient eure Müdigkeit noch dem neuen Götzen!“

Diese Zeilen treffen den Nerv der damaligen Zeit. Man hat mit den alten Götzen der Monarchie gerade abgerechnet und ist kurz darauf erschöpft in der neuen republikanischen Staatsordnung von Weimar gelandet. Auch die Verwirrung, soziale Haltlosigkeit sowie die scheinbare Verschmelzung zu einer durch und durch homogen Masse, wird durch Nietzsche bereits als Charakteristikum des Staates ausgemacht:

„ Staat nenne ich´s, wo alle Gifttrinker sind, Gute und Schlimme: Staat, wo alle sich selber verlieren, Gute und Schlimme: Staat, wo der langsame Selbstmord aller – das Lebe – heißt.“

Mabuse nun setzt sich über all dies hinweg und kreiert seine eigenen Gesetze, stellt sich über alles  und jeden und strebt die Weltmacht an. Langs Film als Menetekel? Mabuse als ein buchstäblich auf die Kinoleinwand projizierter Übermensch, für den solche Zeiten wie die Weimars durchaus günstig waren?:

„Also sprach Zarathustra: Dort wo der Staat aufhört, da beginnt erst der Mensch, der nicht überflüssig ist: Da beginnt das Lied des Notwendigen, die einmalige und unersetzliche Weise. Dort wo der Staat aufhört,- so seht mir doch hin , meine Brüder! Seht ihr nicht, den Regenbogen und die Brücken des Übermenschen?“