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Musik der zwanziger Jahre – Jazz erobert Deutschland

Von Daniel Horneber

... Das war absolut knorke! Die Weintraubs Syncopators kamen spornstreichs zur Sache und brachten nicht nur sich, sondern vor allem das Publikum zum Schwitzen. Die Damen signalisierten durch ihre Abendgarderobe die Bereitschaft für ein Bratkartoffelverhältnis und der heftig getanzte Charleston sorgte für bebende Wände ...

Musik und Tanz

Die Lebensbedingungen nach dem ersten Weltkrieg gestalteten sich überaus schwierig. Die Tage waren geprägt von bürgerkriegsähnlichen Zuständen, die durch den Versailler Vertrag, die Arbeitslosigkeit und die wirtschaftlichen Not der Bevölkerung immer weiter angeheizt wurden. Etwas Ablenkung brachte Musik, vor allem Schlager und Unterhaltungsmusik.

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Beeinflusst von der Kunstform des Dadaismus, entstanden Unsinnstexte, wie zum Beispiel „Was macht der Maier“ (1926) von Fritz Rotter oder „Wir versaufen unser Oma ihr klein Häuschen“ von Robert Steidel (1922). Eine der bekanntesten Gruppen war die A-Capella-Band Comedian Harmonists. Sie wurde 1928 von Harry Frommermann gegründet und hatte bald darauf ihren Durchbruch. Ihre Auftritte wurden nur von einem Klavier begleitet, die Band sang eine bunte Mischung aus Liedern, darunter bekannte Songs aus Operetten oder Filmen und Schlager. Heute noch bekannt sind beispielsweise „Monika der Lenz ist da“ und „Mein kleiner grüner Kaktus“.

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Musik ist unweigerlich mit Tanz verbunden, und getanzt wurde ausgiebig, besonders in Berlin. Als Silvester 1918 das Tanzverbot fiel, gab es kein Halten mehr. Das Berliner Tagesblatt berichtet Neujahr 1919: „Wie ein Rudel hungriger Wölfe stürzt sich das Volk auf die lang entbehrte Lust. Noch nie ist so viel, so rasend getanzt worden“. In den Städten entstanden Tanzbars, während man sich auf dem Land in Vereinsheimen traf. Man tanzte den Tango, der seinen Siegeszug schon vor dem Krieg angetreten hatte. Man tanzte den modernen Charleston, er gilt als der typische Tanz der goldenen Zwanziger Jahre, seinen Ursprung hatte der US-amerikanische Gesellschaftstanz in der Hafenstadt Charleston, South Carolina. Durch das Broadway-Musical Running Wild gelangte er zunächst in den USA, später auch in Europa zu großer Popularität. Weitere sehr beliebte Tänze waren der Foxtrott, der später vom Shimmy abgelöst wurde, sowie der Black Bottom.

Jazz

Die beliebteste Musikrichtung, zu der auch am häufigsten getanzt wurde, war der Jazz. Er kam erst 1919 nach Deutschland, weil der Krieg einen früheren Kontakt mit der amerikanischen Musik verhindert hatte. Jazz war das musikalische Ausdrucksmittel der Nachkriegsgeneration, die mit ihm zweierlei verband: den Demokratiegedanken wie die Atmosphäre eines Neuanfangs. Er unterscheidet sich deutlich von der in Europa gepflegten, etwas steifen Musiktradition, denn Improvisation, Variation, eingelegte Soli der einzelnen Instrumente sowie starker Akzent auf dem Rhythmus machen ihn unverwechselbar. Seinen Ursprung hatte er zum einen in den Worksongs, Spirituals und Gospels der afroamerikanischen Sklavenarbeiter in den Südstaaten der USA, zum anderen in den verschiedenen Volksmusiken der europäischen Einwanderer, darunter dem Irish Folk, der kreolischen Tanzmusik, dem Wiener Walzer und der Marschmusik. Aus den afroamerikanischen Rhythmen und den europäischen Musikstilen hatte sich der Ragtime entwickelt, neben dem Blues der direkte Wegbereiter des Jazz. Wo der Jazz letzten Endes erfunden worden war, ist unklar, einige Jazzhistoriker glauben, er sei in New Orleans geboren worden und in New York und Chicago aufgewachsen.

Weimarer Jazz

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Zu den deutschen Jazzpionieren gehörte auf jeden Fall Eric Borchard. Durch seine amerikanischen Beziehungen kam er zu Schallplatten und Noten, die ihn frühzeitig für den Jazz öffneten. Bereits 1919 gründete er die Eric Concerto's Yankee Jazz Band, für die er talentierte Musiker aus dem In- und Ausland engagierte. Sie spielten nach dem Vorbild nordamerikanischer Dixieland-Jazzbands und diesem Stil blieb Borchard treu, als er 1922 seine zweite Band gründete, die Eric Borchard's Atlantic Jazz Band. Eigens für diese Gruppierung importierte er Jazzmusiker aus den USA, wie zum Beispiel den afro-amerikanischen Posaunisten Earl Granstaff. Der JazzautorHorst H. Lange sah den eigentlichen Beginn des niveauvoll gespielten Jazz in dieser Band. Da Borchard nicht nur Jazz spielte, sondern ihn lebte, war er Frauen und Drogen kaum abgeneigt, was sich in zahlreichen Skandalen um seine Person zeigte. 1934 – also nach der Machtergreifung der Nazionalsozialisten – entschied sich Borchard für den Freitod.

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Ebenfalls aus begnadeten Jazzmusikern bestand die von Stefan Weintraub gegründete Band, die Weintraubs Syncopators. 1924 trat die fünfköpfige Gruppe erstmals auf und hatte einen solchen Erfolg, dass ihre Mitglieder schlagartig von Hobby- zu Profimusikern avancierten. Sie machten nicht nur durch ihre musikalisch stilistische Vielseitigkeit zwischen Klassik-Parodie, Wiener Walzer, Swing und Chicago-Jazz auf sich aufmerksam, sondern auch aufgrund ihrer unkonventionellen Auftritte. So wechselten die Bandmitglieder in einem Titel mehrere Instrumente und zwischen den Stücken passend zum Thema die Kleidung. Sie benutzten gewöhnliche Haushaltsgegenstände als Instrumente oder imitierten Tierstimmen, auch nahmen sie sonderbare Positionen ein, wie beispielsweise die Rückenlage. Heute würde man sagen, diese Band sorgte für gutes Entertainment. Des Weiteren wirkten sie in etlichen Theater- und Filmproduktionen mit, bis sie letztendlich als „Nichtarier“ Deutschland verlassen mussten.

... Doch der Höhepunkt des Abends kam erst noch, als urplötzlich Josephine Baker auf der Bühne stand, nackt bis auf ein kurzes Röcken aus Bananen. Die schwarze Dame aus den USA versteht es wie keine zweite, die Menschen zu polarisieren, doch an diesem Abend lag ihr jeder der begnadeten Sänger und Tänzerin zu Füßen. Dem einen oder anderen Mann wurde es bei ihrem Anblick vermutlich ziemlich blümerant zumute und nicht wenige Frauen himmelten sie an. Das war schnafte, das war töfte, das war JAZZ ...