Die Frau der zwanziger Jahre
Von Jessica Reichel
Die 1920er Jahre waren wegweisend für die Emanzipation der Frau. Frauen erfanden für sich eine neue Rolle, erkämpften sich ihren Platz in der Arbeitswelt und brachten ihr neu gefundenes Selbstvertrauen durch Mode und Spiel mit ihren Reizen zum Ausdruck.

Wie sich das Arbeitsleben der Frau verändert hat
Margarethe eilt im Morgengrauen durch die hektischen Straßen Berlins, um ihren Arbeitsplatz noch rechtzeitig zu erreichen. Ihren Regenschirm hat sie sich geschäftig unter den Arm geklemmt, mit einer Hand hält sie ihren Hut fest, der ihren mühevoll frisierten Bubikopf vor dem Wind schützen soll. Margarethe ist Teil einer neuen Frauenbewegung, deren Ursprung in der Zeit des Ersten Weltkriegs liegt. Während des Krieges gab es durch die Abwesenheit vieler Männer eine Lücke in Industrie und Wirtschaft, die von Frauen ausgefüllt wurde und ihnen eine selbstbewusstere, gegenüber dem Mann gleichwertige Position ermöglichte. Angetrieben durch ihr neues Selbstwertgefühl, gaben sich viele Frauen auch nach Kriegsende nicht mehr mit ihrer alten Rolle der Ehefrau und Mutter zufrieden, die ihnen das klassische Rollenbild auferlegt hatte. Vielmehr erklärten sie das Streben nach eigener Erwerbstätigkeit und der damit verbundenen finanziellen Unabhängigkeit zum obersten Ziel.
So wie viele junge Frauen war auch Margarethe aus einer Kleinstadt in die pulsierende Metropole Berlin gekommen und hatte darauf gehofft, ein Teil der faszinierenden Großstadt zu werden. Bei ihrer Ankunft war die Tochter eines einfachen Arbeiters gerade einmal 20 Jahre alt gewesen und voller Hoffnung, der Glanz der Großstadt würde auch auf sie übergehen. Allerdings wurde sie bald ernüchtert, denn der Weg der Frauen in die Arbeitswelt war nicht einfach. Hatte eine Frau trotz der wenigen Stellen einmal eine Anstellung erhalten, war ihr diese nicht auf Dauer sicher. So gab es zum Beispiel aufgrund der schlechten wirtschaftlichen Lage und der damit verbundenen Arbeitslosigkeit seitens der Politik eine Kampagne gegen Doppelverdiener. Frauen drohte die Entlassung, wenn ihr Mann berufstätig war. Ähnlich erging es Beamtinnen, die nach Heirat oder auch Geburt eines unehelichen Kindes ihre Anstellung verloren.

Margarethe hat jedoch den Sprung in die Erwerbstätigkeit geschafft und ist nun als Bürofräulein tätig. Täglich nimmt sie an ihrem kleinen Tisch mit der mechanischen Schreibmaschine Platz und vervielfältigt Dokumente. Sie teilt sich den großen Büroraum mit zwanzig anderen Frauen und das monotone Klacken und Surren der Schreibmaschinen erreicht eine unangenehme Lautstärke. Tick-tick-tick- rrrrrrrr- tick- tick- tick- rrrrrrr. Da bieten Zigarettenpausen mit ihren Kolleginnen kleine Erholungsoasen; während sich die Frauen munter unterhalten, ziehen sie ihren Lidstrich nach und legen frischen Lippenstift auf, denn auf gutes Aussehen legen sie großen Wert. Jedoch entsprach die verbreitete romantisch-utopische Vorstellung über die Tätigkeiten dieser stets adrett gekleideten Fräuleins kaum der Realität.
Vielmehr war der Arbeitsalltag vieler Frauen von langen Arbeitszeiten, Unterbezahlung, sexuellen Übergriffen und schwierigen Arbeitsbedingungen geprägt. Wenn Margarethe ihren Arbeitsplatz gegen 19 Uhr verlässt, schmerzen ihre zarten Finger, die über Stunden dem monotonen Takt gefolgt sind. Ihr mageres Gehalt reicht ihr kaum zum Leben und so hat sie sich mit viel Mühe durch Überstunden im Büro das nötige Geld gespart, um sich eine eigene Schreibmaschine zu leisten. Auf dieser tippt sie in Heimarbeit Briefe und Dokumente und bessert so ihr kleines Einkommen auf.