Freizeitgestaltung in Großstädten
Von Patrick Schady
Berlin 1921 – an einem sonnigen Augusttag passieren Ilse und ihr kleiner Bruder Viktor den Berliner Hauptbahnhof. Bettler, hungernde Menschen und Obdachlose kreuzen ihre Blicke. Kein ungewöhnlicher Anblick für die beiden, denn auch sie spüren noch das Leid aus dem Ersten Weltkrieg. Die Türen der S-Bahn öffnen sich und die 13-Jährige und ihr 9-jähriger Bruder steigen ein. Viktors Augen funkeln immer mehr, als er aus dem Fenster auf das spiegelklare Wasser sieht. Der Zug stoppt und für die beiden gibt es kein Halten mehr, sie rennen zum Wannsee, springen hinein und vergessen für Augenblicke das Elend um sie herum.
Sport als Kompensation
Trotz der allgegenwärtigen Armut zeichneten sich die Zwanziger Jahre durch rasante Fortschritte in Technik, Wirtschaft, Kultur aus wie auch im Lebensstil. Zunächst faszinierte der Sport: "Nur noch Sport gibt den Menschen das Gefühl, an wichtigen Entscheidungen teilzuhaben, im wirklichen Leben bleiben viele davon ausgeschlossen", schrieb Herbert Ihering. Viele waren verbittert über die Niederlage und deren Konsequenzen, was dazu führte, dass sie Wege der Kompensation suchten und in Rekordversuchen aller Art den Wert ihrer Nation und damit von sich selbst wiederzufinden glaubten. Waghalsige Manöver von Rennfahrern im Motorsport beispielsweise brachten die Menge in Rage.
Da es nicht jedermann vergönnt war, sich hinter ein 300-km/h schnelles automobiles Geschoss zu setzen, wandten sich viele sportbegeisterte Menschen dem olympischen Gedanken zu und begannen selbst aktiv zu werden. Turnvereine oder Schwimmvereine bekamen erheblichen Zulauf und viele, auch regionale Meisterschaften wurden ausgetragen. Zugleich wurde ein neues Sportgerät erfunden, das Rhönrad.
Max Schmeling
Aufgeregt sitzen Franz und sein bester Freund Viktor vor dem Radio. Der Gong ertönt. Angespannt und fingernägelkauend hören sie, wie es aus dem Radio schallt: "... eine gute Rechte von Schmeling, doch der Belgier Fernand Delarge kontert". Die beiden Boxer liefern sich einen gnadenlosen, erbitterten Kampf. Am Ende sind die beiden Jungs erleichtert, dass ihr Champion gewinnen konnte. Es ist Max Schmelings erster Europameisterschaftstitel, den er in der Dortmunder Westfalenhalle im Jahre 1927 verbuchen kann.
Von 1924 an kämpfte sich Max Schmeling durch die Boxringe in die Herzen der Nation. Viele Menschen strömten in die Stadien oder saßen vor den Rundfunkgeräten, um mit dem jungen Boxer mitzufiebern. Schmeling gewann viele Kämpfe im Halbschwergewicht und Schwergewicht bis hin zum Weltmeisterschaftstitel, viele seiner Kämpfe führten ihn auch ins Ausland, vor allem in die damaligen Box-Hochburg New York.
Mitte bis Ende der Dreißiger Jahre erreichte seine Karriere mit vielen Siegen und Titeln ihren Höhepunkt. Mit Beginn des Zweiten Weltkriegs geriet seine Karriere jedoch ins Stocken, da er sich, geleitet von der Propaganda, freiwillig zum Kriegsdienst gemeldet hatte. Unmittelbar nach dem Krieg und seinem Einsatz als Fallschirmjäger floh er mit seiner Frau von Pommern nach Hamburg, wo er im Januar 1947 von der US-Militärregierung die Boxlizenz für den amerikanischen Sektor erhielt. Im Oktober 1947 bestritt er in Berlin gegen Richard Vogt seinen letzten Profikampf, den er nach Punkten verlor. Nach seiner aktiven Laufbahn blieb er dem Boxsport als Ringrichter erhalten. Am 2. Februar 2005 starb Max Schmeling im Alter von 100 Jahren.